Vom Schweigen der Begriffe
Vortrag an der Jahrestagung des Deutschen Forums Kunstgeschichte “Silence. Schweigen”, eingeladen durch Andreas Beyer und Laurent le Bon, DFK Paris
Abstract:
Der Graben, der sich einst zwischen solchen auftat, die den Begriff festigen und solchen, die den Begriff dynamisieren wollten, hat sich im 21. Jahrhundert verschoben. Die Trennlinie verläuft nicht mehr zwischen jenen, die auf das Schweigen der Begriffe unterschiedlich reagieren, sondern zwischen solchen, die das Schweigen bemerken und diesem Relevanz zusprechen und solchen, die das nicht tun. Nicht zufällig geht die Begriffsgeschichte von „Begriff“ zurück auf begrif, was bis ins 14. Jahrhundert hinein im Deutschen Umfang bedeutete, etwa Umfang einer Stadt. Wer sich durch das Schweigen der Begriffe irritieren lässt, so die zur Diskussion gestellte These, dem geht es um den Anderen, um die Partizipation möglichst aller Anderen, im weitesten Sinne um den Traum einer Welt, in der jeder Andere an den Entscheidungsprozessen teilnehmen kann.
Bratpfanne, Traum, Blau, Schmerz, Hund, Vergessen, Wolke, Baum. Begriffe bilden semantische Einheiten. Auf einen Begriff gebracht, wird schwierig Fassbares zugänglich, verständlich und verhandelbar. Kommunikation verstanden als Mitteilung von Informationen gelingt. Die Sprachkritik widerspricht dem Nutzen und Potential einer um Verständlichkeit und Klarheit bemühenden Sprache nicht. Seit ihren Anfängen betont sie allerdings jene Aspekte, die im Sprachgeschehen bereits eines einzelnen verwendeten Begriffs übersehen zu werden drohen. Nicht erst Nietzsche macht mit Nachdruck auf jene Geschichte aufmerksam, die jedem Begriff eingeschrieben ist und still vom Verlust von Individualität und Wirklichkeit berichtet. In Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn heisst es dazu: „Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Nicht-Gleichen. So gewiss nie ein Blatt einem anderen ganz gleich ist, so gewiss ist der Begriff ‚Blatt’ durch beliebiges Fallenlassen dieser individuellen Verschiedenheiten, durch ein Vergessen des Unterscheidenden gebildet und erweckt nun die Vorstellung, als ob es in der Natur ausser den Blättern etwas gäbe, das ‚Blatt’ wäre, eine Urform, nach der alle Blätter gewebt, gezeichnet, abgezirkelt, gefärbt, gekräuselt, bemalt wären, aber von ungeschickten Händen, so dass kein Exemplar correkt und zuverlässig als treues Abbild der Urform ausgefallen wäre.“ Bereits früher konstatiert John Locke in seinen Überlegungen in Von den Wörtern das Vergessen der Differenzen aufgrund von Raum und Zeit als problematische sprachliche Ungenauigkeit. Sowohl Nietzsche als auch Locke reagieren auf diese ihre Skepsis mit der intensiven Suche nach einer Sprache, die dem Partikulären Ausdruck zu verleihen vermag. Sie träumen damit den einen jener zwei Träume, die Richard Rorty als typische Philosophenträume skizziert. Während sich die einen nach Begriffen sehnen mit möglichst offenen, dynamischen Rändern, suchen die anderen nach Begriffen mit möglichst festem, eindeutigem Bedeutungskern. Diese unterschiedlich ausgerichteten Visionen einer ‚angemessenen’ Sprache haben, insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zu heftigen Debatten über Sprache und Bedeutung geführt. Im Vortrag gehe ich divergenten Vorstellungen und Visionen von ‚gelingender’ Sprache nach und schlage vor, diese zuallererst einmal als eine Reaktion auf das von allen als Problem festgestellte und ernst genommene Schweigen der Begriffe anzuerkennen. Jacques Derrida und Rudolf Carnap, so die Behauptung, träumen denselben politischen Traum – nur anders.
Programm: Silence. Schweigen